VOR LIEBE BLIND
Klar: Beat Sterchi hat 1983 mit «Blösch» ein gutes Buch veröffentlicht. Wenn nun aber Alexander Sury (im Berner BUND) sein neustes Werk «Capricho. Ein Sommer in meinem Garten» bespricht, so entgeht ihm, dass sich der Autor eigentlich – unbewusst? – in einen Blubo-Literaten verwandelt hat.
Man erkennt das schon, wenn man eine Äußerung des ehemaligen Mentors von Camenisch am Literaturinstitut Biel heranzieht, die Sterchi im Bund gemacht hat: «Arno ist ganz nah bei seinen Menschen, diesen Bergen. Nahe bei seine Blut. Das spürt man sofort.» Schon da sind die wichtigsten Merkmale vorhanden: Das Blut spricht Bände, aber auch dass Camenisch seinen Menschen nahe sei, ist verräterisch: Wer gehört denn da alles dazu und wer nicht, wer entscheidet das? – Und nicht zuletzt machen in dem Umfeld auch die Berge keine gute Figur mehr, die für eine billige Heimat stehen.
Im neuen Buch Sterchis nun aber findet man – sieht man erst mal mit dieser Aussage im Kopf durch den Text – ständig solche Auffälligkeiten (und ich wähle nicht mal selbst aus, sondern nehme Beobachtungen von Alexander Sury aus dessen Rezension vom letzten Samstag). Die wichtigsten davon: Man befindet sich im Buch in einer alten, ehrwürdigen Tätigkeit: «Er weiss, dass bereits vor vielen Jahrhunderten Menschen hier zur Arbeit gegangen sind» – als wäre eine moderne Tätigkeit eher etwas Verrufenes; aber vor allem scheint der Erzähler der Begabteste (oder jener, der als Einziger erkennt, dass etwas getan werden muss, weil alle anderen Gärten sich in verlottertem Zustand befinden) zu sein, alle anderen eher minderwertig: «Neben seinem bewässerbaren ‹huerto› sind viele andere Gärten verwildert.» Es erinnert mich an eine bekannte Stelle eines nicht mal groben Nationalsozialisten, der einmal schrieb, man erkenne genau die Grenze zwischen Deutschland und Polen: In Deutschland sei alles wunderschön gehegt und gepflegt, während in Polen das Zeugs zerfalle und verwildere (und prompt geht auch in «Capricho» der Erzähler gegen das «Unkraut» vor und will «dem überbordenden Wildwuchs mit Sense und Hacke Einhalt» gebieten).
Aber weiter: Der Autor spricht eben wie bei Camenisch vom spanischen Dorf als von «seinem Dorf» (siehe auch den Untertitel) – also ebenfalls eine Aneignung, obwohl er da immer ein Fremder bleiben dürfte, als Schweizer mitten in Spanien, der höchstens im Sommer dort wohnt. Und dort wohnt er also, in «einfachem» Haus, und tut, wie gesagt, was Menschen «bereits vor vielen Jahrhunderten [...] hier» gemacht haben; alles trieft vor Merkmalen der Blubo-Literatur: die bäuerlich-nahe Lebensweise und das Heroisieren derselben. Denn das Buch verherrlicht das Landleben und die Rückkehr zur Natur Seite um Seite. Wenn Sury meint, alles sei «ganz frei von Kitsch und ohne schwärmerische Naturromantik», so widerspricht er sich gleich selbst mit solchen Beschrieben: «Einmal steht der Ich-Erzähler hüfttief in einem Loch und schwitzt. Er will Wurzelstränge freilegen und erlebt plötzlich ‹göttliche Schönheit›» – was soll denn das sein, wenn nicht schwärmerische Naturromantik und ein Heroisieren der Arbeit auf dem Lande?
Stetig romantisiert Sterchi falsch vorgestellte Vergangenheit: «[S]chön langsam, sagte ich mir abermals und dachte wieder an die Alten, die ihr halbes Leben mit dem Hacken ihrer kleinen Äcker verbracht hatten.» Denn niemand konnte je von seinem kleinen Garten oder Acker allein leben. So kommt es bei ihm quasi implizit zu dem, was eine Señora explizit in seinem Buch äußert: Sie «erhebt die Gartenarbeit [...] einmal gar zur Richtschnur für das Erkennen fähiger Politiker». Was ist denn das, wenn nicht die Überhöhung der Feldarbeit zum völkisch wichtigsten Merkmal!
So folgt denn, was folgen muss, das Fazit des Buches, das Sury unbedenklich zitiert: «Von der Scholle (sic!) gibt es kein Entkommen. Ohne ein paar Quadratmeter gesunder Erde (sic! sic!) [...] bist du nichts.»
Es wäre besser, aus Sterchis Buch wäre nichts geworden, als solch ein Machwerk, das wie beste Blubo-Literatur das ‹natürliche› Leben lobt und Bauern beziehungsweise Gartenbauer zum Symbol des reineren Lebens macht, in dem die Dorfgesellschaft als quasinationalsozialistischer Mikrokosmos («alles ist wichtig in diesem kleinen Kosmos») beschrieben wird, in dem die unermüdlichen Erdarbeiter den Lohn davontragen, der ihnen so bluternst gebührt, von ihrem «Stück urbar gemachte[n] Land». Und schade, erkennt Alexander Sury kein Wort davon.
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