Mittwoch, 30. Oktober 2019
Samstag, 26. Oktober 2019
Donnerstag, 24. Oktober 2019
Mittwoch, 23. Oktober 2019
Dienstag, 22. Oktober 2019
Ich habe ja selbst die Linken gewählt und vor allem: alles Frauen. Weil sie immer noch untervertreten sind im Nationalrat. Aber jefraud wie T. F. schadet den Linken nur: Sieht sie
irgendwo die Möglichkeit, ein wenig Medienpräsenz zu bekommen – schwupp, sitzt
sie dran. Ich mag das nicht. Und bin leider nicht der Einzige (wenn ich der
Einzige wäre, könnte es mir ja egal sein …). Ich mochte es auch nicht, als
damals die »Off-Roader-Initiative« (Get the fuck off the road!) aufgegeben
wurde, weil man Angst hatte davor, von den Wählern ›abgestraft‹ zu werden.
Entweder man setzt sich für eine Sache ein – oder will nur möglichst jedes
Stimmchen gewinnen.
Montag, 21. Oktober 2019
Sonntag, 20. Oktober 2019
Ich werde reich UND bekomme einen Mercedes! Schau an:
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Samstag, 19. Oktober 2019
Donnerstag, 17. Oktober 2019
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Was weiß ich … Vielleicht etwa fünf Prozent der ›Menschen‹ sind einfach eine andere Art: Sie sind imstande, fast alles mit erhöhter Sensibilität wahrzunehmen, weil sie die Kulturerrungenschaften von 5000 Jahren so weit in sich
aufgenommen haben, dass sie entsprechende Instrumente zur vielfältigsten
Erkenntnis besitzen.
Dienstag, 15. Oktober 2019
Er, der kleine Dummkopf, der Krebs hat und bald sterben wird. So sagt er sich, er wolle noch ein letztes Mal glücklich sein: Also macht er Schluss mit
seiner Partnerin und fragt die Frau seiner ›wahren‹ Träume – sie sagt nein. Und
er stirbt einsam und verlassen … Kennen Sie diesen Plot? Sollten Sie aber!
Wie ehrlich glücklich Menschen lachen können, wenn sie Kultur verbrennen dürfen: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/32/Bundesarchiv_Bild_102-14598%2C_Berlin%2C_Opernplatz%2C_B%C3%BCcherverbrennung.jpg.
Donnerstag, 10. Oktober 2019
Buch-Idee: Geschichte, wo Kluge (nach einem bestimmten Test oder besser noch: nach ihren bewerteten Leistungen) auf einen Planeten fliegen dürfen, um allein zu sein unter ihresgleichen. Es
geht nicht darum, dass sie nicht mehr für die Gesellschaft arbeiten wollen, das
tun sie nach wie vor. Sie wollen nur einfach Ruhe, tiefe Ruhe, das ist alles.
Das ist jetzt eine ehrliche Geschichte. Wirklich. Also: Ab und an melden sich bei Schriftstellern Menschen, die irgendeine unbestimmte, auch von ihnen nicht genau formulierte
Hilfe erwarten, beim Umsetzen von ‹genialen Ideen› natürlich. Solche, die mit
81 Jahren noch DAS Buch für Jugendliche schreiben wollen, das dann 1000 Jahre
weltweit das Objekt ist, an dem sich die Jugend laben wird (das war eine Frau).
Oder eben einer, der will den Frauenfußball neu erfinden. Er würden den Frauen,
seine Formulierung nun, «einen kleinen Vibrator am Kitzler montieren. Je näher
sie zum Goal kommen, desto stärker fängt der Vibrator an, zu vibrieren. Und diejenige,
die ein Goal schießt, darf eine Minute auf voll laufen lassen und sich
einen Orgasmus gönnen.
Die Frage ist ja nicht
nur, wie Menschen (oder in dem Fall besser gesagt: Männer) auf solche Ideen
kommen, sondern für mich drückender: Warum kommen die damit zu mir?!
Eine Miszelle zu Carl Spitteler
«Endlich kommen wir in diesem Zusammenhang noch auf Spitteler, den Dichter, der es bewiesen hat, dass seine Kraft im Epischen lag, der im ‹Olympischen Frühling›
ein umfangreiches Epos geschaffen hat, das nicht übersehen werden darf, wie
sehr uns auch ein eigentümliches Unbehagen anwandeln mag.» – Emil Staiger reiht
hier in seinen «Grundbegriffen der Poetik» (erstmals 1946; letzte Ausgabe zu
Lebzeiten 1987) gewissermassen (‹versteckte›) Ablehnung an Ablehnung. Denn
obwohl er Spitteler zugesteht, ein ‹Dichter› zu sein, musste er es ihm erst
‹beweisen›, dass ihm das Epische lag, und trotzdem würde er ihn wohl lieber
übersehen, was man aber leider nicht ‹darf›; vor allem jedoch wandelt ihn ein
‹eigentümliches Unbehagen› an: die doppelte Markierung seines Gefühls, das ihn
beim Lesen der Texte von Spitteler offenbar überkam – ihn, der mit seiner
textimmanenten Methode der Interpretation (‹Begreifen, was mich ergreift.›) das
von Texten erzeugte Gefühl wissenschaftlich zu erklären suchte –, zeigt uns,
dass sich der Literaturprofessor an diesen Texten vergebens abarbeitete und
dass er zusätzlich aus irgendeinem Grunde missgünstig war (denn neidisch musste
er als Nicht-Dichter ja nicht sein). Aber da war er nicht der Einzige.
Doch
was ist es denn, das in Texten Carl Spittelers (1845–1924) schon zu Beginn der
Laufbahn des jungen Dichters, beim Erstlingswerk «Prometheus und Epimetheus»
(1880/1881) etwa, Gottfried Keller dasselbe (!) Wort brauchen liess: «Das Buch ist von vorne bis hinten voll
der auserlesensten Schönheiten. Schon der wahrhaft epische und ehrwürdige Strom
der Sprache […] umhüllt uns gleich mit eigentümlicher [!] Stimmung.» (Brief vom
27.01.1881 an Joseph Viktor Widmann; daraus auch die folgenden Zitate) Rührt es
daher, dass Keller sich nicht erklären kann, was «der Dichter eigentlich will»,
auch «nach zweimaliger Lektüre noch nicht»? Und er trotzdem «gerührt und
erstaunt» ist «von der selbständigen Kraft und Schönheit der Darstellung»? Denn
alles bleibt ihm zwar einerseits «dunkles Gebilde» und irgendwie «Unmöglichkeit»,
und trotzdem empfindet er eben andererseits alles «glänzend anschaulich».
Diesen Gegensatz muss man sich noch einmal verdeutlichen: ‹dunkel› &
‹Unmöglichkeit› – und eben doch ‹glänzend› & ‹anschaulich›! Was stellen
diese Gegensätze anderes dar als das dichterische Eingeständnis, dass hier
fühlbar etwas geschrieben steht, was Wichtigstes, Tiefstes beschreibt, das man
aber selbst als Fachmann nicht so schnell zu erfassen vermag, ja, dass da etwas
versteckt bleibt? Immerhin kommt Keller, selber ein gefühlsbehafteter Mensch
(er blieb zum Beispiel auch dann noch Feuerbachianer aus Zuneigung, als die
ganze Gelehrtenwelt fast geschlossen Schopenhauerianer war) – was zur
Spitteler-Deutung wichtig ist, wie man unten sehen wird –, vermutlich ganz nahe
ans Geheimnis, wenn er eingesteht: «Die Sache kommt mir […] vor, wie wenn ein
urweltlicher Poet aus der Zeit, wo die Religionen und Göttersagen wuchsen und
doch schon vieles erlebt war, heute unvermittelt ans Licht träte und seinen
mysteriösen und großartig naiven Gesang [mit solchen ‹Gesängen› kannte sich
Keller aus; über Feuerbach schrieb er ja im «Grünen Heinrich»: «Da ist
Ludwig Feuerbach, der bestrickende Vogel, der auf einem grünen Aste in der
Wildnis sitzt und mit seinem monotonen, tiefen und klassischen Gesang den Gott
aus der Menschenbrust wegsingt!»]
anstimmte.» Man behalte diese Aussage im Kopf, denn das ‹Urweltlichen› ist es
eben wirklich, was bei Spitteler immer eine Rolle spielt ...
Zuerst sollen jetzt noch weitere Stimmen, die
sich bis heute ähnlich äussern, belegen, dass mit Spittelers Texten eben etwas
vorliegt, das man nicht ganz fassen kann, dem man nicht recht und schnell auf
die Schliche kommt. Etwa Peter von Matt, der die Texte insgesamt «schwer zu
fassen» findet (vielleicht ein Grund, warum er bis 2019 sich kaum über
Spitteler geäussert hat; Zitate – auch die folgenden – alle aus dem Vorwort aus
dem Band «Carl Spitteler: Dichter, Denker, Redner. Eine Begegnung mit seinem
Werk» von 2019) und sie auch – vermutlich ahnend, dass noch viel mehr darunter
verborgen liegt – einen «nichtgehobenen Schatz» nennt.
Diesen ‹Schatz› ein wenig zu heben, macht sich
Philipp Theisohn anheischig. Er kommt auch sehr weit, weil er einsieht, dass es
sich bei Spittelers Texten um Dichtung handelt, der es «obliegt», dem «eine
Stimme zu leihen, das nicht ins Sein gekommen ist» (Nachwort im Lesebuch «Carl
Spitteler: Dichter, Denker, Redner. Eine Begegnung mit seinem Werk» von 2019;
alles weitere auch von dort). Sie blickten wie «hinab, um dort unten den einen
Moment zu erspähen, in dem sich einst alles entschieden hat.» Und er begreift,
warum Spittelers zentrale Form das Epos sein musste und hilft uns mit
Riesenschritten, dem Geheimnis näher zu kommen, wenn er sagt: «Die Gegenwart
erscheint in diesen Texten immer als Resultat einer vorgängigen Verfehlung, die
das Epos zwangsläufig als ein Problem der Weltentstehung verhandeln muss.»
Hier kratzt Theisohn mehr als an der ‹Lösung›.
Nur einen Schritt muss man noch gehen und sich klarmachen –: Was sagt das denn
eigentlich, dass die Gegenwart immer
ein Resultat einer vorgängigen Verfehlung ist? Wenn es zum Beispiel um eine
spezifische Kindsgeburt ginge, könnte es einfach den Zeugungsakt meinen; aber
da Theisohn wie Keller und Staiger vor ihm einsieht, dass dies in jedem Text immer so geht, dieses Spezielle, ist es eben nicht nur irgendeine
Verfehlung, sondern immer wieder
kommt der geheime Blick auf die
Verfehlung, auf die Verfehlung per se,
die ursprünglichste Verfehlung allen Seins: Es ist die Verfluchung, die
Verdammung des Urknalls, oder, mythischer gesagt, vorzeitlicher, das
knirschende Weinen vor dem Umstand, dass es leider nicht nichts gibt. Und in
einer kleinen Abwandlung davon die Suche nach dem Warum eines Nicht-Nichts
anstelle eines eigentlich präferablen Nichts. – Darum war auch das
Theologiestudium Spittelers nicht völlig abwegig: Befand er sich doch schon
sehr früh auf der Suche nach dem Sinn überhaupt, nach einer Erklärung für das
Dasein im Gegensatz zum Nicht-Sein – nicht nur seiner selbst, sondern der Welt,
des Universums. Aber er merkte, wie er eben vieles im Gespür richtig machte,
dass die Suche weitergehen würde oder, ehrlicher, dass die Antwort an sich
schon feststand: Es wäre besser, gäbe es die Welt nicht. Als Künstler aber
glaubte er an die Macht der Literatur, die Menschen hinter diese Dinge sehen
lassen zu können und, da sie eben eine Erlösung auch nicht schafft, wenigstens
helfen kann, die Welt auszuhalten.
Darum auch sein Wahlspruch: «Mein Herz heisst ‹Dennoch›.»
Daher kommt also das seltsame Gefühl all der
Lesenden, selbst der Profis. – Aber die Missgunst, fragen Sie? Vermutlich, weil
Spitteler schon früh hinter all diese Dinge gekommen sein musste, zumindest
intuitiv – schliesslich wusste er bereits als Heranwachsender, dass er Epen
schreiben wollte und zeichnete schon eine Menge der später beschriebenen Bilder
in Schulhefte (siehe zum Beispiel in «Carl Spitteler zum 100. Geburtstag»,
Seite 15) –, darf man annehmen, dass er eben auch später vieles intuitiv
richtig machte, vieles unerklärlich
richtig machte. Er merkte zum Beispiel, dass er beim Erstlingswerk eben bis ins
36. Lebensjahr brauchte, um es veröffentlichen zu können, dass er seine
‹Variantenmühle› durchleiden musste, ohne zu verzagen; dass er auch später viel
Zeit brauchte, selbst wenn das hiess, als er noch Brotarbeit leisten musste,
dass die Veröffentlichung von Werken Jahre auseinander lag; bis er eben vom
ererbten Geld des Schwiegervaters leben konnte und sein Output sich massiv
steigerte, ohne schlechter zu werden; bis ans Ende des Lebens, wo er sich
wieder zehn Jahre Zeit nahm für sein letztes Werk. Das er also alles im Grossen
gesehen richtig machte. Aber Neid vielleicht auch, weil man wie Peter von Matt
merkt, dass Spitteler selbst im Kleinen irgendwie alles richtig gemacht hat,
gerade dann, wenn seine Verse «derb» sind oder er sich «schnappende Reime»
leistet. Oder dass er oft zur historisch (also nicht nur sein Leben betreffend)
richtigen Zeit das Richtige tat, wie bei «Unser Schweizer Standpunkt» im Ersten
Kriegsjahr 1914 des Ersten Weltkriegs. – Und vielleicht ist es eben doch
hauptsächlich auch ein Neid, weil man bei Spitteler lange nicht
alles merkt, nicht hinter die Hauptsache kommt, oder erst langsam. Auch ich
brauchte 24 Jahre dazu.
So
oder so: Spitteler hat – irgendwie – fast immer alles richtig gemacht. Und er kam dem Geheimnis des Lebens
beziehungsweise des Universums auf die Spur sowie der ewigen
Daseinsberechtigung für die Kunst, die Literatur. Unser aller Herz heisst:
DENNOCH!
Mittwoch, 9. Oktober 2019
Zur Freude der Imaginierer
Eine Spitteler-Anthologie im Jubeljahr 2019
Eine
leuchtende, überwältigende Bilderfülle schlägt uns entgegen. Alles ist
sichtbar, nicht nur die ungezählten Dinge und Götterwesen, sondern auch jene
Welt, die uns als innere, unsichtbare gilt; seelische Regungen, Leidenschaften,
alles nimmt körperliche Gestalt an.
Was der Germanistik-Professor Emil
Staiger hier so preist, müsste nicht zwangsläufig gut sein. Denn Staiger mochte
meist eine biedere, bürgerliche Art von Literatur, die in vielen Fällen eher
reaktionär war. So kam es 1966 nicht zufällig zum Zweiten Zürcher
Literaturstreit zwischen Staiger und Max Frisch. Doch Carl Spitteler, um den es
im Zitat geht, wurde zu Lebzeiten (1845–1924) und noch einige Jahrzehnte danach
eben nicht bloss von Liebhabern der «klassischen Literatur» geschätzt, sondern
auch (und sogar eher noch früher) von progressiven Kollegen und
Literaturkritikern wie Carl Albert Loosli und Jonas Fränkel. Das könnte schon
ein Phänomen für sich sein. Aber es wird erst recht eines, wenn man dann lernt,
dass Spitteler vor allem nach 1945 ziemlich schnell einmal als verstaubter
Autor galt und immer weniger gelesen wurde – und zwar wieder sowohl von den
fortschrittlichen Literaturkennern wie aber auch von denen, die sonst dem Kanon
zugetan waren.
Dabei hatte Staiger schon
recht. Was Spitteler zum Beispiel in seinem Roman «Imago» (1906) macht, wie er
da das Innenleben des Protagonisten mit reichem Figurenleben nach aussen
projiziert, das hatte schon die psychoanalytische Schule um Sigmund Freud als
aussergewöhnlich begriffen und ihre Zeitschrift für die Anwendung der
Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften nach dem Roman benannt. Aber auch
Spittelers Epen, wie etwa der «Olympische Frühling» (1900–1905; neue Fassung
1909; Spitteler erhielt für dieses, sein Hauptwerk, vor hundert Jahren den
Literatur-Nobelpreis verliehen, was 2019 allenthalben pompös gefeiert wird),
zeigen ihn als grossen Imaginierer: Das Epos ist voller lebhafter Figuren, die
dem Lesenden eine bunte Welt vorführen, die wir heute der Fantasy-Literatur
zuordnen könnten.
Dies macht auf jeden Fall
Peter von Matt, emeritierter Professor der Universität Zürich und weit über die
Landesgrenzen hinaus bekannter Literaturkritiker und -deuter. Vielleicht
gelingt es ihm in diesem Spitteler-Jubeljahr mit seinem Namen, Carl Spittelers
Werk, das laut von Matt «ein nicht gehobener Schatz» darstellt, «derb und
sinnlich, subtil und erkenntnistief, mit nichts Bekanntem zu vergleichen»
(Vorwort aus dem hier rezensierten Buch), wieder bekannter zu machen. Denn laut
von Matt kommt noch dazu, dass Spitteler nicht etwa veraltet sei: «Herausragend
etwa der Text ‹Vom Volk›. Er analysiert scharfäugig, wie in der Politik mit dem
Wort ‹Volk› umgegangen wird, und man stellt verblüfft fest, dass alles, was er
aufdeckt, auch heute noch geschieht.»
Dass dies nicht etwa der
einzige öffentlichkeitswirksame Text Spittelers war, den man bis heute lesen kann,
wissen Literaturbeschlagene auch selbst, die sich vermutlich vor allem an
«Unser Schweizer Standpunkt» (1914) erinnern werden, die Rede, in der Spitteler
zu Beginn des Ersten Weltkriegs zur absoluten Neutralität aufrief, oder die
Rede zum Gottfried-Keller-Jubiläum 1919, die als eine der besten von damals
gilt.
Die Anthologie des Nagel
& Kimche-Verlags, herausgegeben von Stefanie Leuenberger, Philipp Theisohn
und eben Peter von Matt, macht sich nun anheischig, den Lesenden «eine
Begegnung» mit dem Werk Spittelers zu verschaffen. Und tatsächlich trifft das
zu weiten Teilen zu. Spitteler wird mit klug ausgewählten Texten aus seinen
Wirkbereichen als Dichter, Denker und Redner vorgestellt. Als Hilfe zur
Interpretation, oder um überhaupt ins Werk hineinzukommen, sind dem Buch neben
dem Vorwort von Matts vier Einleitungen Stefanie Leuenbergers mitgegeben sowie
ein Nachwort von Philipp Theisohn. Für den Kenner von Spittelers Werk ist
dieses Nachwort das, was den Band richtig wertvoll macht. Theisohn breitet darin
– gestützt darauf, wer Spittelers geistige Anverwandten sind – in aller Kürze
so etwas wie eine Erklärung für des Dichters Kreativität aus und was ihn von
anderen Literaten unterscheidet. Selbst dafür, warum er in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts derart bekannt war, hat er Ansatzerklärungen, und warum
diese Gründe in der zweiten Hälfte wegfielen. Überraschend auch die Auslegungen,
dass gerade der Rückgriff in die Epenwelt das ist, was Spitteler heute wieder
lesbar macht und modern – oder besser gesagt: überzeitlich. Doch die
Genialität, wie Theisohn all das darlegt, wie er bei einem Gedicht wie «Die
Mittagsfrau» (in der Anthologie auf Seite 297f.) den Zauber erklärt, den es
ausübt, und wie er zur knappsten Fassung von Spittelers Poetologie kommt («Die
Kunst kann und soll nicht erlösen – sondern die Welt aushalten»), das lese man
am besten selbst nach.
Das Lesebuch bietet neben
den klugen Beiträgen der drei Herausgeber den ganzen Roman «Imago», einige
Erzählungen, Ausschnitte aus den Epen, Gedichte, Essays, einen Ausschnitt aus
dem Werk «Der Gotthard» (1896) und zwei Reden.
Die einzigen drei
kleineren Schwachpunkte sind das Fehlen eines Ausschnitts aus den wunderbaren
Kindheitserinnerungen «Meine frühesten Erlebnisse» (1914), die vielleicht
falsche Auswahl aus dem «Olympischen Frühling», obwohl doch Peter von Matt in
seinem Vorwort Seite 8 auf einen schöneren Teil verweist, sowie die Einteilung
des Buches in vier Abschnitte: Erzähler, Dichter, Denker, Politiker – obwohl es
doch der Untertitel des Buches – Dichter, Denker, Redner – besser macht, da
Spitteler sich eher als Dichter denn als Erzähler sah, und vor allem nicht als
Politiker. Am Ende seines Lebens war er stolz darauf, zu sagen, er habe einzig
mit der Rede «Unser Schweizer Standpunkt» sich politisch betätigt, sonst nie,
geschweige denn sei er Politiker gewesen.
Dies alles aber wiegt
wenig im Vergleich zum Umstand, dass sich drei wichtige Literaturkenner einem
Werk annehmen, das droht, vergessen zu gehen, und dem zu wünschen bleibt, dass
es wenigstens in diesem Jubeljahr 2019 wieder vermehrt gelesen würde. Denn der
«Welt den ‹Prometheus› [1880/1881 bzw. Neufassung 1924] schenken, und die Welt
geht ihren Gang weiter, als ob nichts geschehen wäre, das ist furchtbar»,
meinte bereits Rilke.
Stefanie
Leuenberger, Philipp Theisohn und Peter von Matt (Hgg.): Carl Spitteler.
Dichter, Denker, Redner. Eine Begegnung mit seinem Werk. Vorwort von Peter von
Matt. Erläuterungen von Stefanie Leuenberger. Nachwort von Philipp Theisohn.
Nagel & Kimche 2019. 470 Seiten. 38.90 Franken. 978-3-312-01122-3 (auch als
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