Montag, 28. Oktober 2013

Die Phrenologie ist nicht mehr Sache unseres Jahrtausends. Trotzdem meinen wir zu wissen, wann wir einen ›Charakterkopf‹ vor uns haben. Auf Eduard von Keyserling (1855–1918) trifft dies aus Sicht der meisten Menschen kaum zu: Als derart hässlich und im direktesten Wortsinn ›dekadent‹ gilt der Schriftsteller durch das Porträt von Lovis Corinth, das ihn als Mittvierziger zeigt. Doch vielleicht liegt diese Wirkung hier vornehmlich darin, dass der nobel aufrechten und stolzen Haltung des Grafen das Gesicht quasi widerspricht: Eingefallen und bleich scheint es, dazu kommen eine proportional zu große Nase, wüste Tränensäcke und ein praktisch nicht vorhandenes Kinn. Die Augen schauen wie ›entgeistert‹ ins Leere.

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