EIN SCHÖNER HORIZONT – CHARLES BAUDELAIRE UND SEINE EXOTISCHEN ›LANDSCHAFTEN‹
Also, Baudelaire: seine Liebesgedichte, in denen immer diese ›Berge‹, ›Schluchten‹
und ›Eilande‹ auftauchen: Titten, Fotzen, weibliche Körper.
Zweifel? – Man lese: Im Schatten
ihrer Brüste wohlig ausgeruht, / Dem Weiler gleich, der friedlich im Gebirg
versteckt. ›Im Gebirg‹! Also Berge.
Und: Wenn ich geschlossenen Augs
in lauer Nacht / Den Duft einatme deiner warmen Brüste, / Entrollt sich vor mir
eine heitere Küste. Eben; beziehungsweise: ›uneben‹. Genau. Oder anders
gesagt: »Oh, Inseln vor Afrika!« Denn dorthin, mitten in den Indischen Ozean,
auf Mauritius und La Réunion (Insel der ›Zusammenkunft‹), reiste Baudelaire mit
gerade mal 20 Jahren.
Diese tropische Welt hat ihn geprägt. So müssen die ›Inseln‹ in der
Folge mehrmals metaphorisch herhalten: Ein
träges Eiland, von Natur bedacht / Mit seltenen Bäumen, Früchten, prall von
Saft. – Nunja, der Mann weiß, wovon er spricht; er mochte halt sowieso volle
Titten: Die hohen Brüste, die des Kleides
Seide straffen, / Sind vorgewölbt und wie ein schöner Schrein beschaffen.
Aber was bei einer ›Küste‹ folgerichtig mit dabeisein muss, ist das
›feuchte Element‹. Baudelaire führt es deutlich sexuell konnotiert ein: Du ähnelst einem schönen Horizonte, /
Entflammt von Sonnen nebelgrauer Zeiten … / Wie leuchtest du: ein feuchtes (sic!)
Land. Braucht man mehr dazu zu sagen?
Was auch endlich die Frage nach den ›Schluchten‹ und ›Untiefen‹
beantwortet, wenn die Frau vor uns gar ›kontinentenhaft‹ erscheint, voilà: Das Schmachten Asiens und Afrikas Erglühen,
/ Verschollene Welten, fern, fast wie in Grüften, / Durch Tiefen dieses
würzigen Waldes ziehen! Ausrufezeichen. Exakt: Diese perfekt abgeschmeckten
Speisen kostete er nur zu gern. Und man sieht ihn förmlich durch die
›verschollenen Welten‹ kraxeln. Denn diese Tiefe lotet mann doch gerne aus …
TROTZ alledem muss man sagen, dass Baudelaire sich wirklich ein ›neues
Ideal von Weiblichkeit‹ erschreibt. Denn immerhin: Es ist nicht mehr der Mann,
der die Frau verführt; er gibt sich nur noch ihren Reizen hin wie ein Wanderer
oder Bergsteiger der Landschaft.
Dieses Gefühl hat ihm schließlich unmittelbar im täglichen ›Umgang‹ mit
›seinen‹ Frauen geholfen. Wenn die große Liebe Jeanne Duval ihm davonlief …;
wenn er ihr einmal mehr davonlief … – dann konnte er etwas später wieder
versöhnlich sein. Denn sogar wenn man dazwischen andere ›Landschaften‹ besucht
hat, so kann man in eine einst geliebte Landschaft ohne tiefe psychische
Probleme wieder zurückkehren.
Aber wenn wir grad bei ›psychischen Problemen‹ sind: Sobald Baudelaire
die Frauen einmal derart in sein Werk eingestrickt hatte und sich selbst in
dieses Phantasieland hinein, vermag er auch seine Liebes-Stimmungen und -Gefühle
wie auf einem Messgerät innerhalb dieser Skala anzugeben: Wenn er sich gut fühlte,
schaut er von außen auf das geliebte ›Eiland‹, nähert sich ihm an: Meine Liebe, tief und sanft wie das Meer,
die anschwoll wie zur Klippe hin die Flut. Fühlte er sich schlecht, sitzt
er wie gefangen in der ›Schlucht‹: Ich
fleh dein Mitleid an, / Aus jenem tiefen Abgrund, wo mein Herz versinkt.
Wobei ›Abgrund‹ nicht gleich ›Tiefe‹ meint: Letztere blieb ihm eben manchmal
verwehrt – weswegen er sich wie im ›Abgrund‹ fühlt; darin konnte er aber auch
schmachten, weil er es sich irgendwie eingebrockt hatte, wehmütig an die andere
›Schlucht‹ denkend: Die Schwüre, Düfte,
Küsse, die nie zu Ende gehen, / Werden sie auferstehen aus uns verwehrten
Tiefen?
Denn mit zunehmendem Alter, sein vom leiblichen Vater geerbtes Geld als
Dandy verbraucht, angesteckt mit der Syphilis, durfte und wollte er (Apollonie Sabatier,
die sogenannte ›Präsidentin‹, die in ihrem Pariser ›Salon‹ zahlreiche Künstler
versammelte, hätte sich ihm nach Jahren der anhimmelnden Fernliebe hingegeben;
Baudelaire verzichtete) nicht mehr in alle ›Tiefen‹ tauchen. So schuf er sich
eben künstliche ›Eilande‹, künstliche Paradiese: Les Paradis artificiels.
FREILICH behält er seine Bildwelt, die gewählte Abbildungsfunktion der
Sprache für Elemente der Realität bei: Da ihm sowieso alles zu Inseln
›verschwimmt‹, können die sechs wegen Obszönität und Unmoral inkriminierten
Gedichte aus Les fleurs du Mal, die 1857
zum Verbot seines bekanntesten Werks führten, ein Jahr vor seinem Tod in Les Épaves, also als ›Strandgut‹, wieder
auftauchen.
Und selbst der Tod
kann so vorausahnend in passender Weise gesehen werden: Die Einladung zur Reise spricht es aus: Wie köstlich müsst es sein, / Dorthin zu
gehen und vereint / Sich liebend verschwenden, / Lieben und enden / Im Land,
das dir ähnlich scheint!
Montag, 3. Juni 2013
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