Samstag, 13. Juli 2013

Dieser erste Satz lautet in der Gerling-Biographie: Bedeutende Menschen ziehen den Zufall nicht mehr und nicht weniger auf sich als unbedeutende; sie ergreifen ihn nur anders. Und er mag zeigen, warum Wolf von Niebelschütz hier zu Beginn – im Gegensatz zu dem, was seine Frau wohl von Arbeitsprozessen späterer Schriften sagt, wo sich bereits alles eingespielt hatte – doch etwas Mühe bekundete: Er musste sich dem Versicherungsfachmann Robert Gerling zuerst auf irgendeine Weise nähern können, in ihm etwas entdecken können, was er auch in anderen Menschen sah, die er bewunderte: Er sieht in Gerling in der Folge einen Mann, der in anderen Zeitaltern ebenfalls ein bedeutender Mensch geworden wäre, weil er die Eigenschaft besaß, so der Autor, die Zufälle der Welt für sich nutzen zu können, sie auf seine Art für sich arbeiten zu lassen. Denn [i]m nur Wirtschaftlichen ist sein Werk nicht zu fassen. Er selbst hat, als Breker ihn 1928 modellierte, tiefsinnig davon gesprochen, daß es von einer bestimmten Daseinshöhe ab gleichgültig sei, was man tue – auch das Politische, auch das Wirtschaftliche nehme dann künstlerische Züge an, so daß man als Regierer von Menschen und Ideen seinen Beruf ganz ähnlich auffassen könne wie der Bildhauer oder Dirigent: die Lust und die Mühsal, gestaltlose Materie zu gestalten. Diese Anschauung gibt ihm einen Rang, wie er im Umkreis des reinen Geldgeschäftes zu den allergrößten Seltenheiten gehört. Wolf von Niebelschütz stilisiert Robert Gerling in seiner Biographie zu einer Art barocken Fürstenfigur, mit aller dabei mitgedachten Verachtung der gestaltlosen Materie der bloß herumregierbaren Menschen, aber auch mit der damit einhergehenden Größe eines solchen Menschen, der selbst im 20. Jahrhundert versteht, wie man würdig lebt und etwas Großes aufbaut. Denn das seien eben, wie Niebelschütz im zweiten Satz sagt, ›Charakterfragen‹.
[Vorveröffentlichung aus der Biographie von Dominik Riedo über Wolf von Niebelschütz: »Wolf von Niebelschütz. Leben und Werk. Eine Biographie«; erscheint Ende 2013]

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