Freitag, 2. März 2018

MAIKA
Sie stand da, wie eine Dame. Aber nein, zuvor war sie schon speziell. Sie erhob sich ganz langsam, als ich eintrat, etwas mühsam, das Fell der Perserin war strubbelig, als wäre es nass, dabei war es nur ihr Alter, und rasiert war sie auch noch an diversen Stellen, weil sie gerade völlig verfilzt gewesen war, aber trotzdem stand sie, ganz klein am Boden unten, gerade einmal bis an mein Knie reichend, stand sie da wie eine Dame. Sie schaute ein klein wenig nach rechts und links, sehr indigniert, was die Jungspunde für einen Radau veranstalteten, mir auf die Schultern springend vom nackten Fußboden, die Köpfchen an mir reibend, mauzend, Zuneigung abzwingend (man muss sie einfach streicheln, man muss). Maika aber stand da, zitterte vor Schwäche leicht in den Beinen, schaute kurz hoch, wieder geradeaus, was wollte man von ihr?
Ich aber wollte sie, keine junge Katze, und als ich sie abholte, im Sommer 2010, mit dem Mietauto, las ich etwas wie Erstaunen in ihren Augen, dass sie mitgenommen wurde. Während der Autofahrt war sie ruhig, miaute nicht, schaute etwas nach vorne, irgendwann legte sie sich hin. Zuhause aber, als der Transportkorb sich öffnete, trat sie in einer erstaunlichen Sicherheit heraus, erkundete einige Meter Wohnung, roch an der Toilette, entschied sich aber bald einmal, das Sofa zu besteigen und wie eine Königin dort zu sitzen: eine Pfote auf der Lehne, halb aufgerichtet, alles überblickend. Von da an hieß sie auch «Madame».
Schon ein Tag später, als Nosi sich vom Schlafzimmer nach vorne traute, vor allem aber als wir auch noch Nina hatten, verlegte sie ihr gesamtes Leben praktisch auf den Küchentisch. Sie saß dort, sie lag dort, sie wollte dort fressen. Nur für die Toilette verließ sie den Tisch noch. Das war denn auch der Hauptgrund, warum sie nach einigen Monaten zu meinem Bruder konnte, wo sie die einzige Katze war, was ihr sehr passte. Dort endlich hatte sie wieder eine ganze Wohnung für sich. Und konnte sich die Augen etwas putzen, die sie als nicht grob überzüchtete Perserin zwar nicht völlig tränend, aber doch immer wieder feucht hatte, weil der Tränenkanal bei der krummen Nase meist völlig abgeknickt oder eben leicht verengt ist.
Nur das Ende war dann nicht schön. Sie vermittelte mir das brutalste Bild des Todes, das ich bis heute gesehen habe: Bei der Tierärztin, auf dem Untersuchungstisch, der ihr Sterbeplatz werden sollte, erhielt sie die Betäubungsspritze – und als sie merkte, dass sie langsam einknickte, versuchte sie noch zu fliehen, mit den beiden Vorderpfoten sich über den Metalltisch schleifend, weil ihre Hinterbeine krankheitsbedingt seit einigen Stunden völlig gelähmt waren, aber sie wollte leben, sie kroch und kroch, obwohl mein Bruder und ich sie streichelten, bis sie einschlief.

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