DAS ENDE VON TÄXTZIT
Es gibt nur noch sehr wenige öffentliche Literaturzeitschriften, die in der deutschsprachigen Schweiz regelmässig und in gedruckter Form erscheinen, wie selbst das offizielle Schweizer Radio (SRF) festgestellt hat: «Publikumsrückgang, sinkende Auflagen, Geldmangel: Literaturzeitschriften haben in der Schweiz einen schweren Stand.» Und richtig, mehr als eine Handvoll hat man zum Beispiel circa sieben verflixte Jahre nach der Jahrtausendwende kaum finden können; nur ein paar ganz klassische bestanden noch: ORTE kämpfte seit Langem für das Gedicht; VARIATIONS hatte neben seinem mehrheitlich wissenschaftlichen Teil einen kleineren Bereich, in dem die Leserin und der Leser etwas Primärliteratur finden konnten und können; und ENTWÜRFE bestand auch schon länger. Daneben aber waren alle anderen, die es mal gegeben hatte, langsam verschwunden: DER RABE ging zusammen mit seinem Verlagshaus Haffmans ein beziehungsweise wanderte für ein paar wenige Nachträge nach Deutschland, der DREHPUNKT kam zum Erliegen, SPATIEN existierte sowieso nur kurz und SCRIPTUM gab es sogar nur bis 1998. Die Liste könnte fortgesetzt werden.
Da war die Gründung einer ‹Literaturschrift› (sic!) 2012 schon ein kleines Wunder. Genau das aber hat Arno Seeli zusammen mit ein paar Mitstreitern damals fertiggebracht und die Zeitschrift zu Beginn zwei Mal jährlich, nach drei Jahren dann noch jährlich einmal herausgegeben. Damit half dies Magazin über eine schwere Zeit der Leere hinweg, indem es Schweizer Schriftstellerinnen und Schriftstellern eine Plattform gab, bei der ihre Texte jedes Mal von einer oder einem visuellen Artisten/in komplettiert wurden.
Denn immerhin sieht heute nach dieser erwähnten Leere die Lage wieder etwas besser aus. Neu findet man in DAS NARR, im Heft DELIRIUM, in der MÜTZE oder in GLITTER mehr oder minder regelmässig neue Texte von Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Das ist besonders wichtig, weil seither auch der LITERARISCHE MONAT eingegangen ist – ein Heft, das aber bereits zuvor bedenkliche politische Tendenzen zu zeigen begann. Und wenn auch REPORTAGEN eine hochgelungene und erfolgreiche Ausnahme bei neu gegründeten Heften ist, so ist das doch nicht eine eigentliche Literaturzeitschrift.
Aber zurück zu TÄXTZIT: Arno Seeli hat also zehn Jahre lang dreizehn Nummern herausgegeben und dabei eine Vielzahl verschiedener Schweizer Themen berührt oder berühren lassen. Denn nicht nur hat er Texte angenommen, die ihm zugesendet wurden, er hat auch welche konkret in Auftrag gegeben. Und er hat dann vor allen geschafft, was schwierig ist: Er konnte die Beitragenden pro gelieferte Seite bezahlen! Leider keine Selbstverständlichkeit, wie zu viele Autorinnen und Autoren nur zu gut wissen.
Doch musste wohl enden, was so schön begann: Die Kosten der Honorare der Schriftsteller und der graphischen Kulturschaffenden plus die Kosten zur Herstellung liessen sich durch den Verkauf der Hefte und des jährlich organisierten Täxtzit-Abends nicht mehr decken. Selbst weitere Geldbeschaffungsversuche mit Glühweinverkäufen an Weihnachtsmärkten zugunsten des Heftes konnte den finanziellen Absturz nicht mehr aufhalten. Oder anders gesagt: Vielleicht wäre es schon weiterhin gegangen; aber wer will schon ohne eigenes Honorar nach über zehn Jahren noch derart viele Tage im Jahr für eine Literaturzeitschrift opfern, die von den Schweizer Medien viel zu wenig rezipiert wurde und auch in der Branche selbst – bei der halt auch immer mehr gilt: Was Erfolg hat wird noch weiter gefördert – viel zu wenig bekannt war? Zudem in einem Leben, das nicht einfach war und ist, das zu Arno Seeli nur nebenher. Und wer noch einwenden möchte, es gebe doch Förderstellen: Der Bittgang bei so genannten Kulturunterstützern kann einem Gang nach Canossa
gleichen.
Was bleibt? Man schaue sich mal an, wer in den Jahren von 2012 bis 2022 alles in TÄXTZIT geschrieben hat, vor allem ab den Heften 3 und 4: https://files.designer.hoststar.ch/de/45/de45de4c-647b-4b39-af8a-51602963c90e.pdf. Das wird später einmal unter anderem stehen für eine bestimmte Schicht von Schweizer Autorinnen und Autoren, die zwar selten zu den Topverkäufern gehörten, aber doch Literatur jenseits das blanken Mainstreams ablieferten – und das obwohl Arno Seeli im Heft selbst auf stets gut lesbaren Texten bestand, die ein krasses Experiment selten erlaubten. Aber das war ja auch nicht Ziel von TÄXTZIT. Die Kunst ist es eben, die Qualität auch ins Unscheinbare hineinzuzaubern ...
Ach, arme Schweiz, nun bist du um eine literarische Zeitschrift ärmer. Aber die neuste Nummer ist, mit Restexemplaren weiterer Nummern, immer noch bei https://täxtzit.ch erwerbbar. Es ist ein Stück Schweizer Kulturgeschichte.
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