Solothurn/Bern, den 29.
Mai 2017
Sehr geehrte Frau Wirtz Eybl
Bei den Solothurner Literaturtagen am Tisch der Literaten ist mir die Idee gekommen … Seit dem Jahr
2000, als ich in einem Kolloquium des Schweizer Literaturarchivs an der
Universität Zürich («Von der Leine ins Netz» oder so ähnlich; ich haue das nur
grad rasch in die Tasten; es ging um die berühmten Wäscheleinen von Ludwig Hohl
und darum, was von den Schriftstellerinnen und Schriftstellern im
Internet-Zeitalter an nicht-digitalen und/oder digitalen Spuren, vor allem von
den Werkstufen, noch bleiben wird) teilnahm, habe ich mir immer wieder
überlegt, was eigentlich ab der Generation Digital von der Arbeit einer/eines
Literatin/Literaten noch bleiben wird ausser dem Endprodukt des Buches und
einiger Vornotizen. Selbstverständlich gibt es die Literaturschaffenden, die
alle Stufen aufbewahren, alle Sicherheitskopien jeden Tag. Aber das sind nicht
alle – und ausserdem sind das dann ziemlich viele Stufen, die wohl auch nur
noch digital wiedergegeben werden könnten.
Die Idee nun,
von der ich nicht weiss, ob sie irgendwo in einem Land schon besteht, von der
ich und die hier gefragten Schriftstellerinnen und Schriftsteller aber noch nie
gehört haben, bestünde darin, dass das Schweizerische Literaturarchiv den mit
der Schweiz verbundenen Schriftstellerinnen und Schriftstellern die Möglichkeit
anbietet, ihre gerade entstehenden Werke zu jedem Zeitpunkt, nach jedem
Arbeitsschritt, der ihnen passend erscheint, digital ins Archiv stellen zu lassen.
Das Schweizerische Literaturarchiv garantiert, dass diese Dateien aufgehoben
werden, die Schreibenden garantieren, dass Sie sie behalten dürfen, auch wenn
sie sich später für gewisse Zwischenstufen schämen würden.
Wir hier sind
uns sicher, dass so mehr Material ins SLA wandern würde, als wenn eine Autorin/ein
Autor am Ende des Lebens alles zurechtlegt und das aussondert, das sie/er aus
welchen Gründen des späten Lebens auch immer er oder sie nicht mehr überliefert
wissen möchte. Es würde wie die Schreibenden etwas überlisten, mehr zu
hinterlassen als sonst …
Das würde noch
nicht heissen, dass Sie sich verpflichten, dann den ganzen Nachlass zu
übernehmen (ich weiss ja, dass dies vom Platz her gar nicht möglich ist), aber
diese digitalen Formen könnten ein Zusatzarchiv zum regulären Archiv sein, bei
dem die/der entsprechende Urheber/in für diesen «Vorlass» auch keine
finanzielle Abgeltung erhielte.
Also ein «Archiv
der Vorstufen» in digitaler Form.
Mit erlesenen Grüssen
Ihr
Dominik Riedo
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